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Mumps – eine vergessene Erkrankung?

Prevent – Protect – Vaccinate 

 

Schutzkorrelate und Wirksamkeit von Impfungen

Prof. Dr. Wolfgang Jilg, Universität Regensburg

 

„Edward Jenner war nicht der erste, der eine Impfung durchgeführt hat, aber er war der erste, der die Wirksamkeit der Pockenimpfung wissenschaftlich untersuchte und testete“, erläuterte Prof. Dr. Wolfgang Jilg, Universität Regensburg. Bekannt war in der bäuerlichen Bevölkerung, dass Personen, die Kuhpocken gehabt hatten, nicht mehr an Pocken
erkrankten. Jenner ging nun diesem – von der damaligen Schulmedizin weitgehend ignorierten – Phänomen nach und analysierte sehr sorgfältig über 20 solcher Fälle, bei denen ein derartiger Schutzmechanismus angenommen werden musste. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse waren die Grundlage für seinen – nach unseren heutigen Vorstellungen allerdings ethisch doch etwas bedenklichen – ersten Impfversuch. Er impfte den Buben James Phipps mit Flüssigkeit aus einer Kuhpockenpustel. Die Überprüfung erfolgte, indem er Phipps sechs Wochen später mit Pockeneiter infizierte. James Phipps erkrankte nicht an Pocken.Die Pockenimpfung wurde in Österreich Anfang des 19. Jahrhunderts eingeführt. In der Periode von 1807 bis 1850 waren die Sterbefälle an Pocken gegenüber der Periode zwischen 1777 und 1806 bereits um 92% zurückgegangen, in manchen Gegenden sogar um über 98%.


„Auch andere alte Impfungen wurden relativ wenig getestet, etwa jene gegen die Tollwut oder auch die Tetanusimpfung“, fuhr Jilg fort. Oft wurde die Wirksamkeit einer Impfung erst durch den Rückgang der Fallzahlen festgestellt. So waren im Ersten Weltkrieg in der britischen Armee ohne Tetanusimpfung 147 von 100.000 Verwundeten an Tetanus erkrankt; im Zweiten Weltkrieg waren es bei genereller Tetanusimpfung nur noch 12/100.000 Verwundete – ein Rückgang um 93% [1].


Klassische Wirksamkeitstestungen von Impfungen begannen erst Jahrzehnte später. Eine der wichtigsten großen Wirksamkeitsstudien war eine randomisierte plazebokontrollierte Studie, an der 1.083 homosexuelle Männer in New York teilnahmen und in der die Wirksamkeit einer Vakzine gegen Hepatitis B getestet wurde [2]. Die Impfung war aus HBs-Antigenpositivem Plasma hergestellt worden. Mehr als 95% der Geimpften entwickelten Antikörper gegen das HBs-Antigen, die während der gesamten Beobachtungszeit von zwei Jahren persistierten. Die Erkrankungsrate an Hepatitis B lag in der geimpften Gruppe bei 3,2%, in der Plazebogruppe bei 25,6% (p<0,0001). Bei jenen Personen, die alle drei Impfdosen erhalten hatten, lag die Schutzrate bei nahezu 100%.

„In dieser Studie wurde auch zwischen der Verhütung von Infektionen und jener von Erkrankungen unterschieden“, so Jilg weiter. Erstere betrug 84%, letztere 93% (jeweils nach der dritten Impfung).


Eine andere plazebokontrollierte Studie wurde mit 1.037 gesunden Kindern aus einer chassidisch-jüdischen Gemeinde im US-Bundesstaat New York durchgeführt, in der es immer wieder Ausbrüche von Hepatitis A gegeben hatte [3]. Die Hälfte der Kinder wurde gegen Hepatitis A geimpft. Fälle, die nach dem Tag 50 nach Impfung auftraten, wurden gewertet. Es zeigten sich 25 solche Hepatitis-A-Fälle in der Plazebogruppe, keiner in der geimpften Gruppe. Somit lag die Schutzrate bei 100%.

Dass man Impfstudien auch ganz falsch interpretieren kann, erklärte Jilg an einem Beispiel. In einer Metaanalyse von vier Studien wurde, in der Intention-to-treat-Analyse, eine Wirksamkeit der tetravalenten HPVImpfung (gegen die HPV-Typen 6/11/16/18) von nur 18% gezeigt [4]. Beschränkte man jedoch die Analyse auf jene Frauen, die bei Impfung gegen HPV 16 und 18 negativ waren, und auf zervikale intraepitheliale Neoplasien, die tatsächlich durch HPV16/18 verursacht waren, dann betrug die Wirksamkeit des Impfstoffs 99%.

„Wirksamkeitsstudien auf epidemiologischer Basis oder plazebokontrollierte Studien können die Fragen nach der Schutzdauer und dem Individualschutz nicht beantworten. Sie sind außerdem bei seltenen Erkrankungen nicht durchführbar. Der Ausweg besteht in der Messung spezifischer, impfinduzierter Parameter, sogenannter Schutzkorrelate“, erklärte der Vakzinologe.


Impfinduzierte Parameter
Es gibt im Wesentlichen drei Gruppen von Schutzkorrelaten, die von Impfungen induziert werden und die auch gemessen werden können: 1. Antikörper, 2. CD4+-Zellen, sogenannte T-Helferzellen (werden von allen proteinbasierten Vakzinen, aber nicht oder kaum von Polysaccharidimpfstoffen induziert) und 3. CD8+-Zellen, zytotoxische TZellen, die allerdings im Wesentlichen nur durch Lebendimpfstoffe induziert werden. Die Funktion von Antikörpern besteht in der Neutralisation von Viren, der Blockierung von Toxinen und der Abwehr von Bakterien. Einerseits können Antikörper die Adhäsion von Bakterien an Schleimhautoberflächen blocken, andererseits können sie an den Fc-Rezeptor von Makrophagen binden („Opsonisierung“) und sie können Komplement aktivieren (Abb. 1).

Abb. 1: Funktionen von Antikörpern – Bindung an pathogene Strukturen (Viren, Toxine, Bakterien)


 

Quelle: Jilg

 

 

Unter den CD4+-Zellen sind vor allem die follikulären T-Helferzellen (TfH) von Bedeutung. Sie kommunizieren mit B-Zellen und fördern die Bildung von B-Memory-Zellen sowie Plasmazellen, weiters fördern sie den Antikörper-Switch von IgM auf IgG, IgA und IgE und die Antikörperreifung. Weitere Funktion von TfH sind: Aktivierung von CD8+- Zellen, Inaktivierung intrazellulärer Pathogene, Aktivierung von Makrophagen und Neutrophilen sowie regulatorische Funktionen. CD8+-Zellen schließlich erkennen und zerstören infizierte Zellen, die über MHC-Klasse-I-Rezeptoren Antigenbruchstücke des Erregers präsentieren. Tabelle 1 listet die Nachweismethoden für die angeführten Schutzkorrelate auf.

Tab. 1: Nachweismethoden für Schutzkorrelate

Quelle: Jilg

„Während ELISA und HI eher Routinetests darstellen, die Antikörper unabhängig von ihrer Wirksamkeit nachweisen, ist das bei Neutralisationstests und OPA anders“, kommentierte Jilg. „Bei diesen Tests, die mühsamer durchzuführen sind, werden nur die spezifisch wirksamen Antikörper gemessen, was natürlich auch präzisere Aussagen ermöglicht.“ Auch die Tests zur Detektion von CD4+- und CD8+-Zellen sind eher der Forschung vorbehalten. Es gibt unterschiedliche Pathomechanismen, vor denen verschiedene Impfungen unterschiedlich schützen. Tabelle 2 gibt einen Überblick.

 

Tab. 2: Wovor schützen Impfungen?

 

Quelle: Jilg

Für die meisten Impfstoffe sind minimale Schutzkonzentrationen spezifischer Antikörper definiert (Tab. 3). Es gibt allerdings zwei Ausnahmen, nämlich die Impfungen gegen Rotaviren und HPV. Hier werden Serumantikörper gemessen – die Infektionen finden jedoch an Schleimhäuten statt.

Tab. 3: Minimale Schutzkonzentrationen

Quelle: [5]

​​Bedeutung der Schutzkorrelate

Die in Tabelle 3 angeführten minimalen Schutzkonzentrationen schützen entweder vor Infektion oder vor Erkrankung. Am Beispiel der Tetanusimpfung lässt sich darstellen, warum es hier unterschiedliche Schutzgrenzen gibt. Die Schutzgrenze von 0,01IU/ml bezieht sich auf einen In-vivo-Test, bei Mäusen Tetanustoxin, das mit verschiedenen Konzentrationen des zu testenden Serums versetzt ist, injiziert wird. Hier geht es also um den Nachweis neutralisierender Antikörper gegen Tetanustoxoid. Es gibt aber auch nicht-neutralisierende Antikörper gegen verschiedene Antigene des Tetanustoxoids, die der ELISA mitmisst, daher gilt beim ELISA eine Schutzgrenzen von 0,10IU/ml. „Ein zweites Problem besteht darin, dass mehrere Tetanusfälle beschrieben wurden, die trotz hoher oder sehr hoher Antikörpertiter aufgetreten sind“, ergänzte Jilg [6]. Eine schützende Antikörperkonzentration ist also nicht in allen Fällen eine Garantie für eine Immunität gegenüber Tetanuserkrankung.

Ähnlich ist die Situation bei Diphtherie. Auch hier gibt es zwei Schutzgrenzen, eine niedrigere (<0,01IU/ml) für den In-vivo-Test und eine höhere (0,01IU/ml) für den ELISA. Und auch hier sind Diphtherieerkrankungen trotz Antikörperkonzentrationen oberhalb der
Schutzgrenze beschrieben
[7]. Eine solche Beschreibung stammt aus Lettland, wo Diphtheriefälle bei militärischen Rekruten auftraten, die alle gegen Diphtherie geimpft waren. Es zeigte sich, dass dieses Risiko bei jenen Personen geringer war, die ihre letzte Auffrischung mit einem hochantigenen Diphtherieimpfstoff erhalten hatten. Die meisten
Erkrankten hatten relativ milde Symptome
[8].

 

„Es gibt also eine dynamische Wechselwirkung zwischen Erregermenge und Schutzkonzentration“, führte Jilg aus. Bis zu einem gewissen Inoculum schützt die minimale Schutzkonzentration; ist die Erregermenge höher kann es – mit steigenden Erregerzahlen – zunächst zu asymptomatischer Infektion und dann auch zu symptomatischer Erkrankung kommen (Abb. 2).

Abb. 2: Inoculum und Schutzkonzentration

Quelle: Jilg

Dauer des Impfschutzes

Für Hepatitis A beträgt die minimale Schutzkonzentration 10–20IU/l. In einer Studie aus dem Institut für Spezifische Prophylaxe und Tropenmedizin der MedUni Wien wurde gezeigt, dass nach zehn Jahren noch knapp 98% der fast 800 Studienteilnehmer schützende Titer aufwiesen [9]. Ähnliche Daten gibt es auch für einen Zeitraum von 20 Jahren [10]. Und laut mathematischen Modellen müsste ein Impfschutz auch nach 30 Jahren bei über 90% der Geimpften bestehen [10]. Komplexer ist die Situation bei der Impfung gegen Hepatitis B. Hier beträgt die minimale schützende Antikörperkonzentration 10IU/l. Die Frage, wie lang der Impfschutz anhält, wird derzeit diskutiert. Von mancher Seite wird ein lebenslanger Schutz postuliert – was jedoch mit einem Fragezeichen zu versehen ist. Nach drei Teilimpfungen steigt der Antikörperspiegel zunächst stark an, fällt aber, wie bei allen Totimpfstoffen, auch relativ rasch wieder ab [11]. Es zeigte sich auch, dass – unabhängig vom erreichten Antikörpertiter – der Verlauf des Antikörperabfalls ziemlich ähnlich aussieht [12]. „Bei zehn bis 50% aller gegen Hepatitis B Geimpften haben wir nach zehn Jahren Anti-HBs-Spiegel unter 10IU/l und somit keinen Infektionsschutz mehr“,
erläuterte Jilg. Das Abklingen des Antikörperspiegels nach Vakzination mit einem Protein-
Totimpfstoff sieht grundsätzlich immer recht ähnlich aus, wobei die Halbwertszeit, mit der die Antikörper absinken, von der Zeit nach der Impfung und vom Impfstoff abhängig sind. Dies wurde z.B. für Diphtherie
[13], Hepatitis B [14] und Hepatitis A [15] gezeigt. Ein Vergleich zwischen dem Antikörperverlauf nach Impfung gegen Hepatitis A und Hepatitis B zeigt bei letzterer einen deutlich steileren Abfall [16]. „Mehr als 40 Jahre Erfahrung mit der Hepatitis-B-Impfung zeigten jedoch, dass geimpfte Personen, die keinen ausreichenden Antikörperspiegel mehr haben, zwar nicht gegen die HBV-Infektion, wohl aber gegen die
Erkrankung geschützt bleiben“, so Jilg. Dies liegt daran, dass das immunologische Gedächtnis – T- und B-Memory-Zellen – bei neuerlichem Erregerkontakt eine anamnestische Immunreaktion auslöst
[17]. „Das funktioniert bei Hepatitis B deshalb so gut, weil die Erkrankung eine sehr lange Inkubationszeit hat und schon die ersten viralen Produkte zu einer Stimulation des immunologischen Gedächtnisses führen“, erklärte der
Experte. Diese sogenannte „boostability“ ist ein Maß für das immunologische Gedächtnis.
„Wir wissen also, dass bei Impfung gegen HBV die Schutzdauer gegen Erkrankung erheblich länger ist als die Schutzdauer gegen Infektion. Wie lang der Schutz gegen die Erkrankung allerdings wirklich anhält, wissen wir noch nicht genau“, räumte Jilg ein. Eine italienische Studie zeigte, dass 95% aller als Säuglinge Geimpften und 98% aller als 12-Jährige  Geimpften nach zehn Jahren entweder noch Antikörperspiegel >10IU/l oder eine anamnestische Immunantwort aufweisen
[18]. Die wichtigsten prädiktiven Faktoren für die Boostability sind die Impfstoffdosis und der zeitliche Abstand zwischen Grundimmunisierung und der Boosterdosis [19]. Eine Studie aus Regensburg zeigte, dass der Anti-HBs-Antikörpertiter nach dem Booster mit dem Wert vor dem Booster korreliert und umgekehrt proportional zum zeitlichen Abstand zur Grundimmunisierung ist [20].

Das könnte ein Hinweis darauf sein, dass bei Personen, die initial auf die HBV-Impfung schlecht ansprechen, auch das immunologische Gedächtnis schlechter funktioniert“, so Jilg.

Fazit:

  • Plazebokontrollierte Doppelblindstudien sind die beste Möglichkeit zum Wirksamkeitsnachweis einer Impfung. Sie erlauben allerdings nur eingeschränkte Aussagen über die Schutzdauer und gar keine Aussage über den Individualschutz. Weiters sind sie bei Impfungen gegen seltene Erkrankungen nicht durchführbar.

  • Die Bestimmung von Antikörpern, CD4+- und CD8+-T-Zellen als Schutzkorrelate lässt einen Schluss auf die Wirksamkeit von Impfungen zu.

  • Bei allen momentan eingesetzten Impfstoffen sind Antikörper der wichtigste Schutzmechanismus.

  • Die minimale Schutzkonzentration schützt vor „üblichen“ Infektionen, kann jedoch durch große Erregermengen durchbrochen werden.

  • Die Dauer des Impfschutzes ist abhängig vom Impfstoff und der initialen Antikörperkonzentration.

  • Die Boostability ist ein Korrelat für das Immungedächtnis (B- und TGedächtniszellen).

Dr. med. Norbert Hasenöhrl

 

Quelle: „Correlates of Protection – Wirksamkeit von Impfungen“, Vortrag von Prof. Dr. Wolfgang Jilg, Universität Regensburg, im Rahmen der Veranstaltung „Prevent – Protect – Vaccinate“ der Österreichischen Gesellschaft für Vakzinologie (ÖgVak) im Rahmen der European Vaccination Week, 25. April 2018, Wien

Eine Nachlese zur gesamten Vaccination Week 2018 finden Sie hier.

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