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Podiumsdiskussion: Verpflichtende Impfungen bei Gesundheitspersonal und PatientInnensicherheit

Prevent – Protect – Vaccinate 

 

Podiumsdiskussion: Verpflichtende Impfungen bei Gesundheitspersonal und PatientInnensicherheit

TeilnehmerInnen:
Sektionsleiterin Dr.in Magdalena Arrouas, Bundesministerium für Arbeit, Gesundheit und Konsumentenschutz Univ.-Prof. Dr. Michael Binder, Health Care Management, Direktion Wiener Krankenanstaltenverbund Dr. Markus Grimm, Leiter der Rechtsabteilung, MedUni Wien Cand. med. Thomas Hausmann, Austrian Medical Students’ Association Univ.-Prof.in Dr.in Heidemarie Holzmann, Abteilung für Angewandte Medizinische Virologie, MedUni Wien Dr.in Sigrid Pilz, PatientInnenanwaltschaft Univ.-Prof.in Dr.in Ursula Wiedermann-Schmidt, Institut für Spezifische Prophylaxe und Tropenmedizin, MedUni Wien Univ.-Prof. Dr. Christoph Zielinski, Comprehensive Cancer Center Vienna

Moderation:
Wolfgang Wagner, Medizin- und Gesundheitsjournalist, APA

 

Binder: Das Thema Impfungen bei Health-Care Workern (HCW) ist ein sehr wichtiges, aber es ist nicht so leicht umzusetzen, weil uns dafür auch rechtliche Grundlagen fehlen. Dennoch hat der Wiener Krankenanstaltenverbund (KAV) 2017 eine Impfverpflichtung für Gesundheitsberufe für alle KollegInnen eingeführt, die patientennahe arbeiten. Das ist in kurzer Zeit gut anerkannt worden und wird von allen, die neu zum KAV kommen, akzeptiert. Wir haben damit gute Erfahrungen. Aber was ist mit jenen, die bereits beim KAV gearbeitet haben? Hier fehlt uns eine gesetzliche Grundlage, um diese Menschen dazu zu zwingen, sich impfen zu lassen. Ich halte auch Zwang nicht für gut. Wir wissen aber über den Impfstatus dieser KollegInnen Bescheid. Es gibt auch eine arbeitsmedizinische Beratung und die Möglichkeit der Nachimpfung, die natürlich angeboten wird.

 

Ein weiteres Thema ist die saisonale Grippeimpfung. Da ist in Österreich insgesamt eine gewisse zögerliche Haltung festzustellen, das in großer Prävalenz anzubieten. Trotzdem werden bei uns im KAV an allen Häusern sehr rechtzeitig die Impfkampagnen gestartet und beworben, wir versuchen, alle zur Grippeimpfung zu motivieren. Natürlich ist diese Impfung für unsere KollegInnen weiterhin freiwillig. Bei einer Impfung, die eine so hohe „number needed to treat“ hat wie die Influenzaimpfung, kann man sicher nicht auf Zwang setzen.

Pilz: Ich würde das Wort „Zwang“ durch „Pflicht“ ersetzen. Aber wie kann es denn sein, dass sich eine aufgeklärte, im Gesundheitswesen arbeitende Person nicht impfen lässt? Da schrillen bei mir als Patientenanwältin die Alarmglocken. Besonders dann, wenn Gesundheitsberufe wie Ärzte oder Hebammen, die schon vorhandene Impfskepsis befeuern und unterstützen und selbst expressis verbis ihre Skepsis gegenüber Impfungen, z.B. gegen Masern, ausdrücken. Beispiele dafür gibt es leider genug. Patienten lassen sich durch solche Statements leider sehr stark beeinflussen, und gerade auch intellektuelle, gebildete Menschen. Da erwarte ich mir KAV eine ganz klare Haltung. Es gibt ja, falls ein HCW sich nicht impfen lassen will, auch die Möglichkeit von Versetzungen und Änderungskündigungen. Letztlich geht es darum, überall dort, wo vulnerable Gruppen sind, z.B. im Kindergarten, in der Schule etc., diese bestmöglich zu schützen.

 

Hausmann: Wir haben ein Positionspapier zum Thema Impfen. Es sollte ein erhöhtes Bewusstsein für Impfungen, sowohl bei HCW als auch in der Bevölkerung allgemein geschaffen werden. Wir sind für verpflichtende Impfungen bei HCW, zum Schutz der Patienten und des Personals selbst. Wir sind auch für eine Erweiterung des Curriculums, um den Nutzen und die Gefahren von Impfungen zu thematisieren und auch die Möglichkeiten, mit ärztlicher Gesprächsführung hier Überzeugungsarbeit zu leisten. Wir sind auch dafür, dass die finanziellen Mittel für Gratisimpfungen – speziell auch für Medizinstudierende – aufgestockt werden. Die HPVImpfung wird ja bereits von der MUW finanziell unterstützt.


Auch ein elektronischer Impfpass wäre äußerst hilfreich. Es sollte ein Fokus auf die Vorbildwirkung der Ärzteschaft und auf Weiterbildung zum Thema Impfen gelegt werden.
Auch ein Fokus auf bestimmte Gruppen, z.B. ältere Menschen oder MSM, kann sinnvoll sein. Den österreichischen Impfplan sollte man stärker ins Studium einbinden. Und Impfaktionen sollten niederschwellig an verschiedenen Orten stattfinden, z.B. auch in der Mensa. Der Informationsfluss könnte verbessert werden. Natürlich müssen auch Studierende geimpft sein, bevor sie auf Stationen oder Ambulanzen in Kontakt mit Patienten treten.

 

Zielinski: Das Wesentliche ist, dass es dem Patienten gutgeht. Besonders hämatologisch-onkologisch erkrankte Patienten sind besonders sensibel und komplex. Hier ist das Zusammenspiel mit den Angehörigen wichtig.

Wir wissen, dass Patienten, die auf Stationen liegen, wo das Personal gegen Influenza geimpft ist, weniger Grippe bekommen als dort, wo das nicht der Fall ist. Dazu gibt es eine Publikation. Wir müssen uns eigentlich nur an das Bestreben erinnern, das Beste für unsere Patienten zu erreichen, man muss hier nicht von Zwang sprechen, sondern einfach von Sorgfalt. Wie sorgfältig kümmern wir uns um unsere Patienten?


Man braucht sich nur einen Patienten vorzustellen, der an Lungenkrebs erkrankt ist und dann eine Pneumonie bekommt, eine Infektion, die durch Impfung (v.a. des Personals) vermeidbar gewesen wäre. Dieser Patient stirbt dann an der Pneumonie. Das ist tatsächlich ein Problem, das ist fahrlässige Körperverletzung oder sogar fahrlässige Tötung.
Wir müssen uns überlegen, wovor wir uns realistisch fürchten sollten und wovor wir uns glauben fürchten zu müssen.


Ich persönlich verstehe nicht, warum über Impfungen überhaupt noch diskutiert werden muss. Das Gleiche gilt übrigens auch für Rauchverbote. An meiner Abteilung haben wir Encouragement gemacht. D.h. auf der Infektiologie haben wir Impfungen vor allem dem Personal, aber auch den Patienten nahegelegt, ebenso auf der ICU. Dort hatten wir im letzten Jahr dann auch eine fast 100-prozentige Durchimpfungsrate, allerdings ohne Zweifel deshalb, weil das Personal auf der ICU ja direkt die Folgen des Unterlassens von Impfungen sieht. Ich glaube aber auch, dass ein entsprechender Impfstatus ein Anstellungserfordernis sein sollte, wie das der KAV jetzt praktiziert.

 

Grimm: Es gibt hier rechtlich ein gewisses Spannungsfeld, zwischen Selbstschutz einerseits und Fremdschutz andererseits. Was den Selbstschutz angeht, so führt er unmittelbar ins Persönlichkeitsrecht. Es gibt eben das Recht, zu entscheiden, ob man sich impfen lässt oder nicht, so wie man ja auch entscheiden kann, ob man sich behandeln lässt oder
nicht. Das Schutzinteresse anderer – im Sinne der Sicherheit von Patienten und Kollegen – steht dem gegenüber. In diesem Spannungsfeld bewegt sich die Diskussion. Eine gesetzliche Impfpflicht gibt es in Österreich nicht, obwohl sie verfassungsrechtlich argumentierbar wäre. Aber es gibt sehr wohl Möglichkeiten und sogar Verpflichtungen, hier nicht tatenlos zuzusehen. So ergibt aus dem Gedanken des Arbeitnehmerschutzes und der Prävention, dass alle Arbeitgeber, insbesondere aber in Gesundheitseinrichtungen, angehalten sind, das Thema Impfungen anzusprechen, sensibel zu behandeln, Präventivmaßnahmen zu ergreifen, Programme anzubieten und – vor allem in Risikobereichen – auch zu finanzieren.


Und in diesem Zusammenhang entsteht die Frage, was man arbeitsrechtlich tun kann. Hier unterscheidet man eben, wie schon angesprochen, Arbeitnehmer, die erst eine Anstellung suchen, von jenen, die bereits angestellt sind.

Bei noch nicht Angestellten ist es leichter; hier kann man eben sagen, dass der Nachweis eines entsprechenden Impfstatus eine Voraussetzung für die Anstellung darstellt. Hier besteht auch das Fragerecht, d.h. der potenzielle Arbeitgeber darf beim Aufnahmegespräch nach dem Impfstatus fragen, weil dieses Interesse höher zu stellen ist als das persönliche Interesse des Einzelnen, frei zu entscheiden. Hier geht es primär darum, den Arbeitnehmer/die Arbeitnehmerin so einzusetzen, dass niemand anderer gefährdet wird.


Aber auch bei bereits Angestellten trifft den Arbeitgeber die Pflicht, über mögliche Impfungen und die Folgen von Nicht-Impfung aufzuklären sowie Programme anzubieten. Die Frage ist nur, was passiert, wenn jemand sich weigert, sich in dieser Situation impfen zu lassen. Dann muss der Arbeitgeber überlegen, ob diese Angestellte in einem anderen Bereich eingesetzt werden kann – es besteht ja grundsätzlich kein Recht des Arbeitnehmers, in einem bestimmten Bereich tätig zu sein. Versetzungen in Niedrigrisikobereiche sind also möglich, obwohl das de facto oft schwierig sein kann. Wenn sich jemand auch einer Versetzung verweigert, gibt es Sanktionsmöglichkeiten, die – als letzte Maßnahme – bis zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses reichen. Das Beste ist aber natürlich die Bildung von Bewusstsein.

 

Hausmann: Man sollte auch ehrlich auf die möglichen Nebenwirkungen von Impfungen eingeht, auch im Studium.

 

Arrouas: Auch ich verstehe nicht, warum manche Menschen, und gerade auch manche HCW, Impfungen gegenüber recht irrational agieren. Hier muss man Bewusstsein schaffen, hier gibt es noch einiges zu tun. In der Fort- und Weiterbildung wäre auch die Österreichische Ärztekammer gefragt, das Thema Impfungen stärker in ihre Fortbildungen
aufzunehmen. Auch das Ministerium selbst müsste hier noch mehr tun, im Sinne einer Koordinationstätigkeit. Im aktuellen Regierungsprogramm steht „Forcieren von Impfungen,
insbesondere bei Mitarbeitern von Gesundheitseinrichtungen“
. Unter dem Wort „Forcieren“ kann man sich verschiedenes vorstellen, auch einen Zwang, aber ich glaube auch, dass Zwang nicht der richtige Zugang ist. Es kann aber auch heißen, dass alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft werden, um einen besseren Impfschutz für die Bevölkerung zu erreichen. Ich finde es erfreulich, dass einzelne Krankenhausträger hier schon aktiv geworden sind.


Binder: Wenn sich jemand bei uns bewirbt, sollte er/sie einen Nachweis über die entsprechenden Impfungen mitbringen. Falls Impfungen fehlen, wird eine Nachimpfung – gemäß dem österreichischen Impfplan, mit speziellem Blickwinkel auf Gesundheitsberufe – angeboten.

Pilz: Wenn sich z.B. ein Kind in den ersten sechs Lebensmonaten, das noch nicht geimpft werden konnte, in einem der KAV-Häuser durch einen HCW ansteckt, dann haftet der Träger, also der KAV.

 

Binder: So ist es. Ich möchte einige Dinge sagen:

  1. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des KAV, die patientennah arbeiten, haben ein hohes Verantwortungsbewusstsein. Das resultiert wohl schon aus der Entscheidung selbst, in einem Gesundheitsberuf zu arbeiten. Das ist ja nicht gerade besonders hoch bezahlt und außerdem mit viel Mühe verbunden. Dennoch machen sie es, und sie machen es gerne.

  2. Wir unterstützen alle vorhandenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch arbeitsmedizinische Beratung und durch Kampagnen mit dem Ziel, notwendige Impfungen aufzufrischen oder auch zu beginnen. Das Beginnen ist sicherlich der kleinste Teil, die Auffrischungen sind bestimmt der größere Teil, ich denke da etwa an Pertussis.

  3. Wir können, wie erwähnt, den Impfstatus bei neu Eintretenden verlangen, aber man muss als Krankenhausträger natürlich darüber hinaus noch mehr tun.

 

Laut den OECD-Daten haben wir in Österreich eine MMRDurchimpfungsrate von 96% bei den Kindern [35]. Dennoch ist es natürlich möglich, dass Menschen in Österreich, die sich ohne es zu wissen mit Masern angesteckt haben, in Krankenhäuser gehen, weil sie einen starken Husten oder einen Ausschlag haben. Die aktuelle Masernprävalenz ist ja auch in Österreich nicht unbeträchtlich. Dann muss man eben ein Contact Tracing machen, wir machen das gemeinsam mit der MA15. Das ist mühsam und aufwändig. Zumindest in den Fällen, die ich persönlich überblicke, haben wir da beim Gesundheitspersonal erfreulicherweise keine Impflücken gesehen. Wenn es jedoch trotzdem zu einer Ansteckung eines Patienten, z.B. mit Masern, in einem Haus des KAV kommt, muss der Träger dafür natürlich geradestehen.

 

Wiedermann-Schmidt: Das ist ein großer Schritt, dass die neu Eintretenden nun ihren Impfstatus nachweisen müssen. Ich sehe aber ein Problem zwischen den verschiedenen Berufsgruppen. Hier gibt es recht unterschiedliche Einstellungen, und es ist sehr schwierig, alle in gleicher Weise anzusprechen und zu motivieren. So wissen wir, dass etwa die Influenzaimpfung – die ja zugegebenermaßen auch eine schwierige Impfung ist – vom Pflegepersonal sehr ungern angenommen wird. Wer ist verantwortlich dafür, dass auch in Ausbildung Befindliche, nicht nur Medizinstudenten, sondern auch jene in Pflegeausbildung, geimpft sind? Wer schaut, ob die Rettungssanitäter, die ja auch ins Krankenhaus kommen, geimpft sind?

Was mir in der Umsetzung fehlt, ist die Einheitlichkeit. Der Wille ist da, aber es fehlt eine einheitliche Umsetzungsstrategie und eine einheitliche Verantwortlichkeit. Wir haben ja schon 2012 in Zusammenarbeit mit dem Ministerium Empfehlungen für die Impfung von HCW für ganz Österreich herausgegeben; auch im Zuge dieser Arbeit war klar ersichtlich, dass hier jedes Krankenhaus etwas anderes tut.

 

Binder: Die Pflegeschülerinnen und -schüler, die ihre Ausbildung beginnen, haben eine Impfverpflichtung. Die Medizinstudierenden haben diese Verpflichtung auch, sofern sie sich im KAV bewegen – im Unterschied zur MedUni Wien. Wir tun da schon was.

 

Arrouas: Ich stimme Fr. Prof. Wiedermann zu, wir brauchen eine Umsetzungsstrategie, und da wäre sicher mein Ressort gefordert, eine solche zu erarbeiten. Das setzt aber auch das Commitment der verschiedenen betroffenen Bereiche voraus. Ein wichtiger Beitrag dazu ist auch der elektronische Impfpass. Hier ist ja nun der Startschuss erfolgt und das politische Commitment ist vorhanden.

 

Holzmann: Wir brauchen dieses politische Commitment unbedingt. Da muss einfach noch mehr passieren, um die Durchimpfungsraten zu erhöhen. Wir brauchen einen möglichst niederschwelligen Zugang zu Impfungen, wir brauchen Awarenesskampagnen und verbesserte Ausbildung, nicht nur bei den Ärzten, sondern auch bei den anderen medizinischen Berufen. Die verbesserte Impfdokumentation durch den elektronischen Impfpass wird das gut unterstützen. Ich bin dafür, dass Personen, die sich nicht impfen lassen wollen, das auch begründen und unterschreiben müssen. Dann überlegt man es sich vielleicht.


Zielinski: Der Schritt, den der KAV hier gesetzt hat, ist natürlich wesentlich. Wenn es aber stimmt, dass Ärzte und Pflegepersonal unterschiedliche Zugänge zu Impfungen haben, dann bedeutet das, dass hier eine soziale Grenze existiert, was ich persönlich als sehr schmerzhaft empfinde. Das ist eine Katastrophe und eine Folge der missglückten
Bildungsstrategie der letzten 70 Jahre. Das ist also, wie andere Präventionsprobleme in Österreich, in erster Linie ein soziales Problem. Hier ist die Frage, wie wir das angehen wollen.

 

Wiedermann-Schmidt: Wir müssen die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung insgesamt heben. Das muss schon im Kindergarten beginnen. Wenn ich höre, dass Kindergärtnerinnen im Kindergarten der MedUni Wien nicht geimpft sind, dann ist das doch ein unhaltbarer Zustand. Wir brauchen also langfristige Strategien, aber wir müssen auch etwas tun, was sofort wirkt. Ich möchte hier schon das Wort „Verpflichtung“ verwenden.

Wenn jemand – sowohl physisch als auch durch die Verbreitung von Meinungen und Haltungen – ein Multiplikator ist, so muss diese Person geimpft und auch für Impfungen sein.

 

Zielinski: Es gab einmal einen Gesundheitsminister, der auf die in einer Fernsehsendung gestellte Frage, ob er gegen Grippe geimpft sei, erwiderte: „Nein, aber ich esse täglich einen Apfel.“


Hausmann: Prof. Binder, haben Sie im KAV über die Standardimpfungen hinaus konkrete, spezifische Impfempfehlungen für bestimmte Abteilungen? Z.B. Hepatitis A,  Meningokokken B, Pneumokokken etc.?


Binder: Da sind wir gerade dabei, das zu erarbeiten. Z.B. Varizellen für den Gynäkologiebereich. Aber wir brauchen etwas Zeit, um das zu implementieren. Es sollten auch die Leistungen der Krankenversicherungen in diesem Bereich vereinheitlicht werden, aber eigentlich sollten evidenzbasierte Impfungen in Österreich für alle Menschen kostenfrei verfügbar sein.

 

Pilz: Ich finde all diese Bestrebungen ganz, ganz super, aber manches dauert mir einfach zu lang. Eine Bewusstseinsänderung bei der Pflege würde ich eher in Frage stellen. In den sozialen Medien ist es ja leider so, dass wir dort die Deutungshoheit nicht oder nicht mehr haben. Dort gibt es eine Blase von Leuten, die – teilweise sogar mit ganz guten oder gut klingenden Argumenten – den anderen erklären, warum sie sich auf keinen Fall impfen lassen sollten. Darum denke ich, dass wir um eine Impfpflicht nicht herumkommen
werden. Das geht ja auch in den USA, warum nicht in Österreich?

 

Wolfgang Maurer (aus dem Auditorium): Ich verstehe das mit den Dienstgeberpflichten nicht. Es gibt auf dem Bau eine Schutzhelmpflicht. Auch die OMV stellt in der Destillerie keinen Kettenraucher an. Österreich hat sich verpflichtet, die Masern bis 2010 zu eliminieren, das wurde dann bis 2015 verlängert, dann bis 2020, und das wird auch nicht funktionieren. Ich halte es auch für falsch, dass Impfungen (und da nicht alle) nur bis zum 15. Lebensjahr kostenlos sind. Impfungen sparen ja Kosten. Um einen Todesfall zu vermeiden, muss man 2.000 Säuglinge bzw. Kleinkinder impfen, das kostet ca. 33.000 Euro. Um einen Todesfall im Straßenverkehr zu vermeiden, gelten fünf Millionen Euro als gerechtfertigt. Um einen Todesfall durch Zervixkarzinom mittels HPV-Impfung zu vermeiden, muss man 330.000 Euro investieren. Dafür ist lange Zeit kein Geld da gewesen; jetzt ist es plötzlich da. Dass der KAV hier vorangeht, ist löblich, aber auch das Personal in Ordinationen müsste geimpft werden.

Wagner: Gibt es denn irgendwelche Daten dazu, wie viel Prozent der niedergelassenen Ärzte geimpft sind? Wiedermann-Schmidt: Zumindest hat man sich angeschaut, wie die
niedergelassenen Ärzte mit den eigenen Impfempfehlungen umgehen, und da hat sich gezeigt, dass bis zu 40% bestimmte (vom Impfplan vorgesehene) Impfungen gar nicht empfehlen. Da werden vielmehr eigene, quasi „selbstgestrickte“ Impfkonzepte verbreitet, was ich persönlich sehr alarmierend finde. Hier wird Missinformation verbreitet.

 

Ein Salzburger Amtsarzt (aus dem Auditorium): Wir haben in Salzburg eine Studie gemacht, die unterstreicht, dass wir bei Erstimpfungen gar nicht so schlecht liegen; bei Folgestudien schaut es deutlich schlechter aus. Als Amtsarzt muss ich sagen, dass ich es wichtig fände, wenn wir auch Zugang zum elektronischen Impfpass hätten. Das ist derzeit nicht vorgesehen, ich hoffe, das wird geändert.

 

Eine Arbeitsmedizinerin: Laut derzeitiger Gesetzeslage umfasst die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers auch das Bereitstellen von Impfungen. Im Krankenhaus gibt es oft ein Problem mit ausländischen Mitarbeitern, die häufig keine Immunität gegen Varizellen haben. Da wüsste ich gern, ob die Krankenhausträger in Wien die Varizellenimpfung, die ja relativ teuer ist, auch bezahlen. Wie ist das mit Reinigungspersonal? Auch die Titerkontrollen kosten ja was. Werden diese Kosten übernommen?

 

Grimm: Bei der Helmpflicht am Bau ist der Arbeitgeber zu Kontrollen verpflichtet und der Arbeitnehmer dazu, den Helm auch zu tragen. Beim Impfen ist zwar der Arbeitgeber verpflichtet, die Impfungen und entsprechende Programme anzubieten; der Arbeitnehmer ist jedoch nicht verpflichtet, sich auch tatsächlich impfen zu lassen. Eine solche Impflicht könnte aber sehr wohl in bestimmten Bereichen gesetzlich verankert werden, etwa im Gesundheitsbereich. Das würde aber Gesetzesänderungen erfordern.


Wiedermann-Schmidt: Wir haben im Bereich der MedUni Wien sehr wohl dafür gesorgt, dass die Kosten sowohl für die Titerkontrollen als auch für die ggf. notwendigen Impfungen vom Arbeitgeber getragen werden.

 

Binder: Das ist beim KAV genauso. Nur machen wir das über unseren arbeitsmedizinischen Dienst (MA 3).


Arrouas: Vorläufig wird der E-Impfpass im Pilotprojekt nur niedergelassenen Allgemeinmedizinern und Pädiatern zugänglich sein. Das soll ja im Rahmen von ELGA laufen, und Amtsärzte sind derzeit nicht an ELGA angebunden. Das ist aber in einer nächsten Phase sehr wohl vorgesehen. Der öffentliche Gesundheitsdienst soll aber in die Entwicklung des EImpfpasses sehr stark eingebunden werden.

 

Zielinski: Es geht hier sehr stark um die Wahrung der Individualrechte, das kommt ja aus der ganzen Diskussion sehr klar heraus. Ich denke aber, es ist nicht akzeptabel, Individualrechte hier über den Schutz der Gemeinschaft zu stellen. Es kann natürlich jeder für sich entscheiden, sich nicht zu schützen, aber das darf nicht dazu führen, dass Schutzbefohlene gefährdet werden. Wir können hier nur weiterkommen, wenn wir die Situation wissenschaftlich analysieren und gemäß dieser Analyse vorgehen. Wir müssen aufarbeiten, wie es den Schutzbefohlenen auf Abteilungen geht, wo eine ungenügende Durchimpfungsrate besteht; wie es ihnen in Arztpraxen geht, wo Arzt bzw. Personal nicht geimpft sind und der Arzt womöglich auch von Impfungen abrät. Wenn wir solche Daten haben, können wir das auf den Tisch legen. Anders wird es nicht gehen. Anders kann man sich schwer gegen jene wehren, die in den sozialen Medien Unsinn verbreiten.

 

Hausmann: In Deutschland hat man Medizinstudenten befragt, um zu sehen, wie das medizinische Wissen mit den Impfabsichten korreliert. Derjenige Faktor, der am meisten dazu motivierte, sich impfen zu lassen, war aber die Einschätzung der eigenen Gefährdung. Dort sollte man wohl ansetzen. Das war viel wichtiger als die Moral.

 

Ein Apotheker aus dem Auditorium: In anderen EU-Ländern, aber auch in der Schweiz, dürfen Apotheker Impfungen verabreichen. Es gab da einen Antrag der Neos vor einigen Monaten, der aber von der Regierung abgelehnt wurde. Zur Verfügbarkeit: Der Vierfach-Grippeimpfstoff war innerhalb von 14 Tagen ausverkauft.


Eine Diskutantin aus dem Auditorium: Wir haben jetzt den konkreten Fall, dass Mitarbeiter einer Reinigungsfirma, die im Spital arbeiten, aufgefordert wurden, sich gegen MMR impfen zu lassen. Einer davon weigert sich. Was tun?


Grimm: Nun, diese Firma hat ja einen Vertrag mit dem Spital, und die Verpflichtung bestimmter Impfungen ließe sich im Rahmen dieses Vertrages regeln. Wagner: Bitte um eine Schlussrunde zur Frage, was wir tun können, damit wir nächstes Jahr weder Masern noch Influenza in unseren Krankenhäusern verbreiten.

 

Grimm: Die bestehenden arbeitsrechtlichen Möglichkeiten voll ausschöpfen, idealerweise in einem Zusammenschluss aller Krankenhausträger und idealerweise im Rahmen weiterer gesetzlicher Verankerungen. Im Studium das entsprechende Commitment erzeugen. Pilz: Der Gesetzgeber hat hier Handlungsbedarf, hier brauchen wir klare Regelungen. Es sollten alle Personen, die im Gesundheitsbereich, aber auch in Schulen, Kindergärten und  Gemeinschaftseinrichtungen arbeiten, verpflichtend – laut den Vorgaben von Fr. Prof. Wiedermann und ihrem Team – geimpft werden. Das sollte möglichst bald geschehen. Zweitens fragt man sich, wieso die Ärztekammer nicht gegen Ärzte auftritt, die von Impfungen abraten und wissenschaftlichen Unsinn verkünden. Die Berufsverbände, wie eben die Ärztekammer, die Vertretung der Pflegeberufe etc., haben hier klar Position zu beziehen und die entsprechenden Schritte zu veranlassen.

 

Ein Diskutant aus dem Auditorium: Solang eine Ärztekammer Diplome für Scharlatanerie und Quacksalberei ausstellt und davon Postenbesetzungen abhängig macht, dann braucht man eigentlich gar nicht diskutieren.

 

Binder: Impfen geht uns alle an. Wir sind ja die Herde. Wir werden Influenza in den Krankenhäusern nicht reduzieren, wir versuchen aber, unser Personal zur Impfung zu motivieren. Bei MMR müssen wir uns gemeinsam anstrengen.

 

Zielinski: Wir haben in Österreich im internationalen Vergleich einen enormen Aufholbedarf. Wir tun irgendwie so als wäre alles so schön wie 1970. Wir müssen international anerkannte Präventionsmaßnahmen, die auf entsprechenden wissenschaftlichen Beweisen beruhen, in den Vordergrund stellen und umsetzen. Die Erfahrungen mit der österreichischen Politik – Stichwort: Rauchergesetzgebung – sind allerdings eher ernüchternd.

 

Arrouas: Wir haben in den letzten zehn Jahren – Stichwort: Gesundheitsziele, Gesundheitsförderungsstrategien u.a. – gewisse Fortschritte gemacht. Das gilt auch für das Impfen. Immerhin haben wir ein kostenfreies Impfprogramm für Kinder und Jugendliche, um das uns viele beneiden.


Hausmann: Ich fordere alle Medizinstudenten auf, die Wichtigkeit von Impfungen zu sehen und zu verbreiten und sich selbst impfen zu lassen.

 

Wiedermann-Schmidt: Vielen herzlichen Dank. Ich habe den Wunsch, dass wir alle hier mit gutem Beispiel vorangehen. Check your vaccination status, wie die ECDC sagt. Holzmann: Wir müssen lernen, besser zu kommunizieren. Vielen Dank.

Dr. med. Norbert Hasenöhrl


Quelle: Diskussionsrunde: „Verpflichtende Impfungen bei Gesundheitspersonal und PatientInnensicherheit“, im Rahmen der Veranstaltung „Prevent – Protect – Vaccinate“ der Österreichischen Gesellschaft für Vakzinologie (ÖgVak) zur „European Vaccination Week“, 25. April 2018, Wien

Eine Nachlese zur gesamten Vaccination Week 2018 finden Sie hier.

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